Liebe Leser,
meine erste Kolumne im Jahr 2021 möchte ich einigen frei formulierten Gedanken widmen.
Das Börsenjahr 2020 war einfach für diejenigen, die die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie realistisch einschätzen konnten. Im April 2020 war der Pessimismus zu hoch, insbesondere unter vielen Profi-Investoren. Viele Vermögensverwalter erhöhten auf dem Höhepunkt der Krise ihre Cashbestände und reduzierten ihre Aktienquoten. Das entnehme ich zumindest der Berichterstattung in den Zeitungen. Auch der führende Online-Vermögensverwalter Scalable Capital erwies seinen Kunden einen Bärendienst als auf dem Höhepunkt der Krise von Aktien in Anleihen umgeschichtet wurde.
Als ich im März 2020 meine V-Erholungsthese für Wirtschaft und Aktienmarkt formulierte, wehten mir laute Worte des kollektiven Widerspruchs entgegen. Das hat mir erneut gezeigt: Nur weil viele Menschen eine Meinung über die Wirtschaftsentwicklung vertreten, muss sie deswegen nicht richtig sein. Für einen kollektiven Irrtum halte ich auch die Ansicht, dass Amazon als Gefahr für die Innenstädte gesehen wird. Im Gegenteil: Der Einfluss von Amazon wird letztens Endes dazu führen, dass die Geschäfte in den Innenstädten schöner, spannender oder erlebnisreicher werden.
Warum der boomende Online-Handel nicht zu verwaisten Innenstädten führen wird!
Das große Investment-Thema war der Online-Handel. eCommerce-Aktien profitierten von den dramatischen Marktanteilsgewinnen der Online-Händler gegenüber dem Einzelhandel. Auch die hier im Blog vorgestellten Aktien wie Zalando, DeliveryHero oder Shop Apotheke konnten in den letzten Tagen nach den neuen Lockdown-Ankündigungen noch einmal deutlich zulegen. Es ist bitter was den Einzelhändlern widerfährt und natürlich bin ich der Meinung, dass der Staat hier Entschädigungszahlungen leisten muss, wenn er verbietet, dass Geschäfte öffnen dürfen. Die Marktanteilsverluste wird das allerdings nicht kompensieren.
Einige Politiker treibt die Sorge um, dass die Innenstädte verwaisen werden. Sie fordern deshalb zusätzlich Steuern für Online-Händler. Die Sorgen sind unbegründet. Die Innenstädte werden nicht verwaisen, aber die Immobilienbesitzer werden sich auf geringere Mieten einstellen müssen. Die Politiker, die jetzt den Online-Handel bestraften wollen, würden tatsächlich die Immobilienbesitzer subventionieren, die dann auf ihren hohen Mietpreisen verharren könnten.
Ob ein Bekleidungsgeschäft in der Innenstadt profitabel betrieben werden kann, hängt in erster Linie von den Mietpreisen ab. Bei 100 Euro Mietpreis pro Quadratmeter ist es in der neuen Online-Shop-Welt eher unrealistisch, ein Geschäft profitabel betreiben zu können. Aber bei 30 Euro pro Quadratmeter kann ein traditionelles Bekleidungsgeschäft in gut besuchten Innenstadt-Lagen sicher gut über die Runden kommen und auch noch etwas Geld verdienen.
Es wird für die Besitzer der Immobilien in den Top-Lagen der Städte ein langer Erkenntnis- und Anpassungsprozess sein. Aber in 20 Jahren wir sich alles auf niedrigeren (relativen) Preis-Levels stabil eingependelt haben. Wenn ich einen visuell spannenden Erlebnis-Einkauf möchte, gehe ich in die Stadt, ansonsten kaufe ich halt online ein. Eine Traumwelt für Konsumenten.
Deutsche Konzerne spielen internationale keine Rolle mehr!
Europäische Firmen verlieren gegenüber Unternehmen aus China und den USA stetig an Wettbewerbsfähigkeit. Das Handelsblatt berichtete in einer Spezialausgabe zum Jahreswechsel über die 100 erfolgreichsten Firmen der Welt. Nur noch ein einziger deutscher Konzern ist mit dabei. Es handelt sich um den Softwarekonzern SAP, der in der illustren Rangliste des Handelsblatts innerhalb eines Jahres von Rang 49 auf Rang 72 abgerutscht ist. Deutsche Konzerne spielen in der ersten Liga der Weltwirtschat keine Rolle mehr.
Meine Meinung ist: Unternehmerische Erfolgsstorys wie bei den von Elon Musk geführten Unternehmen Tesla und SpaceX oder auch bei den zahlreichen anderen Silicon-Valley-Companys sind in Deutschland schon aufgrund der Arbeitsgesetzgebung nicht möglich. Man kann mit 40-Stunden-Wochen und Low-Performer-Kündigungsschutz keine Rakete bauen, die schon 2024 zum Mars fliegt!
Ich würde nicht für Elon Musk arbeiten wollen. Aber es sollte möglich sein, dass es Firmen, die so geführt werden wie SpaceX und Tesla, auch in Deutschland geben kann. Wenn die talentiertesten Ingenieure Europas bei exzellenter Bezahlung 90 Stunde pro Woche daran arbeiten wollen, eine Rakete im Jahr 2024 zum Mars starten zu lassen, dann sollte das möglich und nicht verboten sein.
Elon Musk verlangt von seinen Führungskräften 70-Stunden-Wochen und feuert Manager sehr schnell, die ihre 2-Wochen-Ziele nicht erreichen. Er sagt auch: Wenn Du erfolgreich sein willst, musst Du mehr arbeiten als deine Konkurrenten. Die talentiertesten Menschen der Welt wollen trotzdem für Elon Musk arbeiten, weil er mit seinen Firmen die Welt positiv verändert. Sie akzeptieren, dass ihr Beschäftigungsverhältnis in Musk-Firmen zeitlich begrenzt sein wird. Sie nehmen die die harten Arbeitsbedingungen einige Jahre in Kauf, können von sich behaupten dabei gewesen zu sein und arbeiten dann anschließend eben für eine andere Firma. Genau so sieht ein flexibler Arbeitsmarkt aus.
Auf ein erfolgreiches Börsenjahr 2021!
Viele Grüße
Simon Betschinger