Liebe Leser,
wenn man historische Chartverläufe des Aktienmarktes betrachtet, dann sieht es so einfach aus: In der Krise muss man kaufen. Bislang erreichten die Aktienmärkte in den kapitalistischen Ländern früher oder später immer neue Hochs. Das verstehen selbst Anfänger sofort. Doch wenn wir uns in der Krise befinden, wie jetzt, dann ist es auf einmal vorbei mit der Einfachheit.
Das Vertrauen an eine bessere Zukunft schwindet
Es ist das Wesen der Krise, dass das Vertrauen in das gesamte System erodiert. Plötzlich kann man sich nicht mehr vorstellen, dass sich die Lage wieder normalisieren wird. Während der Finanzkrise stellten die Medien den Kapitalismus auf den Prüfstand. In diesen Tagen wird bezweifelt, dass die globalisierte Welt in gleichem Umfang wie bisher Bestand haben wird.
Meine Einschätzung ist, dass der Corona-Spuk in einem Jahr vorbei sein wird und dass die Gesundheitssysteme gestärkt aus den Erfahrungen mit Covid-19 hervorgehen werden. Die Sterblichkeitsrate von Covid-19 ist relativ harmlos im Vergleich mit anderen, fatalen Viruserkrankungen, wie zum Beispiel Ebola, das auf Sterblichkeitsraten von bis zu 90 % kommt. Die Menschheit wird langfristig von den Erfahrungen von Covid-19 profitieren und ist dann gut darauf vorbereitet, wenn einmal eine Epidemie mit einem wesentlichen schlimmeren Virus ausbricht.
Wie kann sich wieder alles normalisieren? Mehrere Szenarien sind denkbar:
a) Menschen, die mit Covid-19 infiziert wurden, entwickeln eine Immunität. Das sagen die meisten Expertenstimmen, die ich verfolge. Virologen sagen, dass das Virus nur sehr schwer mutieren kann. Die Anzahl der Menschen, deren Immunsystem mit dem Virus zurechtkommt, steigt gerade exponentiell an.
b) Es gibt nun doch Hinweise darauf, dass Covid-19 eine gewisse Klimaabhängigkeit besitzt. Die Verbreitungs-Spots entstanden bei Temperaturen zwischen 5 und 11 Grad und bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 47 und 79 Prozent. Das ist zum Beispiel das Ergebnis einer Studie der „University of Maryland“. Ja, und ich habe tatsächlich nach dem Wetter in Teheran im Iran gegoogelt, um diese These zu bestätigen. Der anbrechende Sommer würde uns tendenziell helfen, so wie es derzeit aussieht.
c) Die Menschen lernen mit der Gefahr von Virus-Infektionen besser umzugehen und schützen sich gegenseitig mit Atemmasken und Desinfektionsmaßnahmen vor der Ansteckung. So wird die Verbreitungsgeschwindigkeit deutlich verlangsamt.
d) Es wird ab 2021 Impfstoffe geben. Es forschen so viele Pharma- und Biotechfirmen an einem Impfstoff, dass ein Erfolg sehr wahrscheinlich ist.
e) Es kommen Medikamente auf den Markt, die die schweren Verläufe deutlich reduzieren. Remdisivir von Gilead Sciences ist ein vielversprechendes Arzneimittel, für das schon Ende März die Ergebnisse der beschleunigten, klinischen Studie erwartet werden. Remdesivir wurde zum Einsatz gegen Ebola- und Marburgvirusinfektionen entwickelt. Erste Medienberichte sprechen davon, dass über 70-jährige Corona-Virus-Patienten mit der Behandlung von Remdesivir stabilisiert werden konnten.
Was Cash hat, ist König. Wer investiert ist, sollte nicht die Nerven verlieren
Ich unterscheide an der Börse zwischen den Disziplinen Trading und Investieren. In meinen Investment-Depots bin ich zu 80 % investiert. Sobald ich mich dazu entscheide, an den Aktienmärkten mit einem Depot als Investor zu agieren, weiß ich, dass es irgendwann im Verlaufe meiner Investoren-Laufbahn zu einem heftigen Markteinbruch kommen wird. Diese Crashphasen gab es an der Börse schon immer. Im Schnitt kracht es alle 9 Jahre. Ein Bullenmarkt bringt im durchschnittlich 480 % Gewinn. Ein Bärenmarkt führt zu Verlusten von durchschnittlich -41 %. Als Investor akzeptiere ich das Bärenmarkt-Risiko, weil ich langfristig in den Genuss der Renditen eines Bullenmarktes kommen möchte. Ich verkaufe nicht in Krisen, denn ich muss fest davon ausgehen, dass es sie gibt und dass ich sie vorab nicht vorhersagen kann.
Wer hohe Cashbestände hält, kann sich glücklich schätzen. Warren Buffett sagt, dass man als Investor ein Grundvertrauen in das Funktionieren der Marktwirtschaft und in die Menschheit benötigt. Wer auf Cashbeständen sitzt und dieses Grundvertrauen hat, kann nun mit Käufen von Qualitätsaktien beginnen. Aus meiner Sicht sprichts nichts dagegen.
Supermärkte werden Infektionszentren: Der Umgang mit der Krise ist grotesk!
Es ist mittlerweile klar, dass ältere Menschen ab 60 Jahren zur Hauptrisikogruppe des Corona-Virus zählen. Meine Eltern gehören auch dazu. Es ist wichtig, dass wir ältere Menschen schützen und ihnen dabei helfen, sich zu isolieren. Wenn ich meine Eltern besuche, treffen wir uns im Freien und ich halte 2 Meter Abstand. Supermarkteinkäufe stelle ich vor die Tür. Es ist machbar.
Das Krisenmanagement in Deutschland empfinde ich als grotesk. Insgesamt findet keine Isolation statt. Ich verstehe nicht wie die Verbreitung des Virus maßgeblich verlangsamt werden soll, wenn die Menschen in den Supermärkten dicht an dicht stehen. Keiner trägt Atemschutzmasken, um seine Mitmenschen zu schützen. Die Einkaufswägen werden nicht desinfiziert. Jeder fasst sie an. In den Supermärkten der Nation stecken sich wohl in diesen Tagen die meisten Menschen an.
Wenn die Wirtschaft kollabiert, entstehen unkalkulierbare Risiken
2009 während der Finanzkrise verzeichnete das BIP in Deutschland einen Rückgang von 5 %. Wenn die gegenwärtige Politik des öffentlichen Shutdowns fortgesetzt wird, dann wird der Rückgang der Wirtschaftsleistung weit drastischer sein. Gastronomen, Veranstalter, Hoteliers und Einzelhändler stehen vor dem finanziellen Ruin. Das darf nicht passieren. Die langfristigen Folgen einer Weltwirtschaftskrise wie in den 1929/30er Jahren wären unkalkulierbar. Damals radikalisierten sich die politischen Kräfte und das Ergebnis ist bekannt. Es mündete im zweiten Weltkrieg.
Wirtschaftliche Stabilität ist darum wichtig, auch wenn es herzlos klingt.
In der heutigen Zeit verlaufen fast alle Debatten hitzig und es wird sofort die moralische Keule geschwungen, wenn man über das große Ganze und nicht über einzelne Opfer spricht. Manchmal scheint es so, dass die einzige gesellschaftlich akzeptierte Diskussionsthese die Fokussierung auf Einzelschicksale ist. Ich denke aber, dass die Politik schon in ein oder zwei Wochen Entscheidungen treffen muss, die auf das große Ganze und die Stabilisierung der Wirtschaft abzielen.
Ich plädiere dafür, das öffentliche Leben für Nichtrisikogruppen wieder aufzunehmen
Angesichts der Erfahrungen aus den Supermärkten, wo neue Infektionszentren entstehen, komme ich zu folgender Schlussfolgerung: Gesunde Menschen unter 50 Jahren sollten ihr alltägliches Leben wieder aufnehmen, um zu verhindern, dass die gesamte Wirtschaft kollabiert. Die Statistiken zu Covid-19 geben eine solche Entscheidung her.
Die Berichte aus Singapur, Taiwan oder mittlerweile auch China sind sehr ermutigend. Dort geht das öffentliche Leben mit der entsprechenden Vorsicht weiter. Wo viele Menschen sind, werden Atemschutzmasken getragen und Arbeitsflächen und andere Dinge, die häufig berührt werden, werden regelmäßig desinfiziert. Wenn möglich arbeiten die Menschen vom Home-Office aus.
In den nächsten zwei Wochen werden die Aktienmärkte meiner Einschätzung nach ihre Tiefs bilden
Langfristig können wir davon ausgehen, dass die Menschen das Covid-19-Problem in den Griff bekommen werden. Für die kurze Sicht bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Politik Maßnahmen treffen wird, die auf eine Fortsetzung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens für Nichtrisikogruppen abzielen. China gibt uns eine Blaupause. Zuerst wurden in China die Fabriken komplett abgeriegelt. Dann wurden die Arbeiter wieder in die Fabriken geschickt, unter Einhaltung strenger hygienischer Maßnahmen.
Sehr ermutigende Nachrichten kommen auch aus Taiwan. Das Land hat 23 Millionen Einwohner. 2019 reisten rund 2,7 Chinesen vom chinesischen Festland nach Taiwan. Es findet ein reger Flugverkehr zwischen China und Taiwan statt. Nach der SARS-Epidemie im Jahr 2003 hat Taiwan ein ausgefeiltes System entwickelt, um Epidemien schnell in den Griff zu bekommen. Mit Hilfe von Big Data werden Risikopersonen identifiziert und ab einer gewissen Risikoklassifizierung sofort in die häusliche Quarantäne entsendet. Obwohl ein reger Reiseverkehr zwischen Taiwan und China stattfindet, gab es bislang in Taiwan nur einen Corona-Virus-Toten.
Fazit: Das Virus Covid-19 ist beherrschbar. Ich bin der Überzeugung, dass sich erstens in der Politik die richtigen Vorgehensweisen sehr schnell durchsetzen werden und dass zweitens an den Aktienmärkten dann wieder Zuversicht einkehrt.
Viele Grüße
Simon Betschinger
Disclaimer: Dieser Text stellt eine persönliche Einschätzung von Simon Betschinger dar. Es ist ein journalistischer Text, der nicht zur Anlageberatung geeignet ist. Simon Betschinger gibt zudem anderen Menschen keine Empfehlungen. Er äußert lediglich seine eigene Meinung.